Anton, Kyjiw, Fahrradheld
Fahrradheld Anton radelt in der Ukraine, Kriegstrümmer liegen an der Straße
Fahrrad-held:innen
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Gedanken von
Anton radelt durch den Wald
Anton

„Radfahren hilft, den Kriegs-Alptraum in der Ukraine kurz zu vergessen“

Anton* hält mit seinem Team den Fahrradladen BigToys Bikes in Kyjiw am Leben. Ein Gespräch über die Bedeutung des Fahrrads in Zeiten des Krieges, über Lieferschwierigkeiten und die Vielfalt der ukrainischen Fahrradkultur.

JobRad

Seit über zehn Jahren arbeiten Sie als Fahrradmechaniker in Kyjiw. Wie schaffen Sie es, den Menschen trotz Krieg täglich Mobilität und Hoffnung zu geben?

Anton radelt durch den Wald

Anton

Dieser Fahrradladen ist meine Familie. Ich liebe, was wir tun, und ich liebe es, wenn Menschen ihre neuen Fahrräder bekommen. Anderen zu helfen, auch nach drei Jahren Kriegs-Alptraum, mobil zu sein, gibt mir das Gefühl, das Richtige zu tun.

Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine an. Mussten Sie damals schließen?

Wir haben etwa eine Woche nach der massiven Invasion 2022 wieder angefangen zu arbeiten, und das war verdammt beängstigend. Explosionen, Raketenangriffe, feindliche Hubschrauber und die unbekannte Zukunft...

Wie gelang es Ihnen dann, den Betrieb aufrechtzuerhalten?

Anfangs arbeitete ich von zu Hause aus und habe Bestellungen online angenommen. Mit meinem Gravelbike fuhr ich zum Laden, um auszuliefern, da die Post nicht funktionierte. Heute läuft der Laden fast wie früher.

Woher beziehen Sie Ihre Ersatzteile und Fahrräder?

Die Logistik hat sich durch die Blockade des Schwarzen Meeres drastisch verändert. Wir mussten neue Wege finden. Das führt zu Verzögerungen und höheren Preisen, da die Versand- und Zollkosten gestiegen sind. Dadurch sinkt auch die Nachfrage.

Welche Fahrradtypen sind besonders gefragt?

Die meisten Menschen suchen nach günstigen MTB-Rädern als Transportmittel. Andere wollen ein Gravel-Bike.

Großes Mural in Kyjiv zeigt einen Radfahrer

Großes Mural in Kyjiv zeigt einen Radfahrer

© Anastasiia Hutianska

Eine mit Sandsäcken und Brettern gesicherte Statue auf einem Platz in Kyiw

Die mit Sandsäcken und Brettern gesicherte Lysenko-Statue auf dem Theater-Platz in Kyjiw

© Anastasiia Hutianska

Mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist die Hoffnung auf einen echten Frieden geschrumpft. Trump spricht von „Friedensverhandlungen“, aber viele befürchten einen „diktierten Frieden“.

Leider sieht es nicht so aus, als würde Trump für internationales Recht und demokratische Prinzipien eintreten. Andernfalls würde er nicht so handeln, als hätte Putin kein souveränes Land angegriffen und keine Städte in der Ukraine zerstört. Russland will nicht nur ein paar Gebiete erobern, sondern die ukrainische Identität auslöschen. Trumps Worte und Handlungen sind voller russischer Propaganda-Lügen, und das tut weh.

Wie ist die Stimmung derzeit in Kyjiw?

Die Stimmung in Kyjiw ist angespannt und von Wut wie Unglauben geprägt. Donald Trump tut sein Bestes, um Putin zu helfen. Wir können immer noch nicht glauben, dass er sagt, was er sagt, und dass er tut, was er tut. Das ist völlig absurd und verrückt. Das wäre ähnlich, wie wenn Franklin Roosevelt Adolf Hitler angerufen hätte, um ihm ein paar freundliche Worte zu sagen und seine positive Einstellung zum Nazi-Regime zu bekunden. 

Es hat nur 80 Jahre gedauert, um die Erinnerung an das Wesen des Naziregimes und all die unglaublichen Dinge, die das Naziregime sowohl in Deutschland als auch in der ehemaligen UdSSR getan hat, auszulöschen.

Zusätzlich verschärfen russische Angriffe die Lage vor Ort. Am vergangenen Wochenende (Anmerkung der Redaktion: 24.05. und 25.05.2025) bombardierte Russland Kyjiw massiv und nahm gezielt Wohnhäuser ins Visier. Die Angriffe zerstörten zum Beispiel ein nahegelegenes Dorf vollständig, in dem 47 Häuser dem Erdboden gleichgemacht wurden. Ein Dorf, das auch auf der Route unserer beliebten Radausfahrten auf Schotterpisten liegt.

Was gibt Ihnen Kraft, trotz allem weiterzumachen?

Radfahren ist definitiv das, was mich motiviert und kurzzeitig auf andere Gedanken bringt. Zu Hause zu sitzen und ständig neue, deprimierende Nachrichten zu erhalten, ist für mich keine Alternative.

Welche Rolle spielt die Fahrradcommunity in Kyjiw für den sozialen Zusammenhalt in diesen schwierigen Zeiten?

Wir sammeln Spenden für die ukrainische Armee – das unterstützt die Landesverteidigung. Jede Spende, auch die kleinste, erleichtert es den Soldatinnen und Soldaten zu kämpfen. In einer idealen Welt sollte die Regierung dies von selbst tun können, aber unter diesen Umständen muss die ganze Nation zusammenhalten.

Bombtrack Gravelbike in Kyjiv vor zerbombtem Haus

Bombtrack Gravelbike in Kyjiv vor zerbombtem Haus

Gibt es etwas, was wir von Deutschland aus tun können, um zu helfen?

Die beste Hilfe ist eure Unterstützung, dieses Interview zum Beispiel. Und natürlich Spenden. Und geht wählen! Ich hoffe wirklich, dass kein europäisches Land in eine Situation gerät, wie die USA mit ihrem rechtsextremen Populismus, der das Land und die Welt ruiniert.

Wie sind Sie zum Radfahren gekommen?

Ich habe Radfahren schon immer geliebt – schon als Kind fuhr ich den ganzen Tag durch unser Dorf. 2004 war beim ersten BMX-Wettbewerb in Kyiv dabei. Seitdem fahre ich leidenschaftlich BMX. Sie wissen schon, mit einer Crew, neue Tricks lernen und Videos drehen. Es war großartig! 2017 habe ich eine andere Seite des Radfahrens entdeckt, nicht so extrem, aber abenteuerorientiert. Seitdem fahre ich mehr größere Abenteuerräder wie Gravel- und Mountainbikes.

Was bedeutet Radfahren für Sie heute?

Ich fahre jeden Tag Rad, sei es auf dem Weg zur Arbeit oder bei Touren am Wochenende. Radfahren ist die beste Möglichkeit, abzuschalten und vor all dem Albtraum zu fliehen, der uns hier jeden Tag umgibt. Es ist mein Lebensstil.

Was war Ihre schönste Erfahrung auf einem Fahrrad?

Meine Freunde und ich sind schon mehrmals mit dem Rad durch die Karpaten gefahren. Es war hart, aber es war auch wunderschön – definitiv meine beste Rad-Erfahrung. Ich hoffe, der Krieg endet bald und wir werden wieder auf Berggipfel radeln!

Wer ist Ihr:e Fahrradheld:in?

Jede:r Fahrradfahrer:in, der:die die Ukraine verteidigt! Iurii Makalis zum Beispiel. Er hat es während des Krieges geschafft, ein Buch über ukrainische Radfahrer mit dem Titel „Velorukh“ (Deutsch: Fahrradbewegung) zu veröffentlichen (gemeinsam mit Mariia Shevchenko) – es zeigt die Vielfalt der Fahrradkultur in der Ukraine.

Fahrrad vor ausgebranntem Auto

© Volodymir Pankevich

Fahrrad vor ausgebranntem Auto

*Der vollständige Name unseres Interviewpartners ist der JobRad®-Redaktion bekannt.

JobRad®-Spende für dieses Interview: Chainreaction Bike Convoy for Ukraine

JobRad® spendet für jedes Fahrradhelden-Interview 500 Euro an eine Nichtregierungsorganisation, die sich dafür einsetzt, Menschen aufs Fahrrad zu bringen. Für dieses Interview geht die Spende an das Projekt „Chainreaction Bike Convoy for Ukraine“. Dabei handelt es sich um ein gemeinnütziges Vorhaben von Radfahrer:innen mit dem Ziel, Rettungswagen für die Ukraine zu finanzieren und bereitzustellen.

Im Juli 2025 organisieren die Initiator:innen eine Fahrradtour von München nach Lviv in der Westukraine. Die Rettungswagen werden sie auf der Strecke begleiten und anschließend in Lviv an die ukrainische Bevölkerung übergeben. JobRad® unterstützt dieses inspirierende Projekt auch mit zusätzlichen Spenden. Wir berichten auf unseren Social-Media-Kanälen ausführlich darüber.


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Anton arbeitet seit 2013 bei BigToys Bikes, einem Radladen in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw.

Für eine bessere Zukunft gibt’s noch viel zu tun.
Für eine bessere Zukunft gibt’s noch viel zu tun.
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