Kopenhagen wagen?
Fahrradheldin Katja Diehl sitzt auf Straße
Das Fahrrad als Politikum
4 Min. Lesezeit
Gedanken von
Katja Diehl vor Hamburger Hafen lachend
Katja DiehlMobilitätsexpertin

Eine neue Verkehrswende in Deutschland: Sollten wir mehr Kopenhagen wagen?

Wo klemmt es eigentlich bei der Verkehrswende in Deutschland? Was können wir von Vorzeige-Fahrrad-Städten wie Kopenhagen lernen? Wo gibt es Licht, wo Schatten? Beim Radeln durch ihre Wahlheimat Hamburg beantwortete die Mobilitätsexpertin und Bestsellerautorin Katja Diehl diese und andere Fragen. 

Key Takeaways: Es braucht Wahlfreiheit – nicht nur in der Politik, sondern auch bei der Wahl des Fortbewegungsmittels, findet Katja Diehl. Was es dafür braucht? Eine Infrastruktur, die das ermöglicht und die Schwächsten im Verkehr schützt.

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Sollten Städte in Deutschland mehr Kopenhagen wagen, um in Sachen Mobilitätswende voranzukommen?

Katja Diehl vor Hamburger Hafen lachend

Katja Diehl

Das Spannende an Kopenhagen ist: Du kommst dort überall gut mit dem Auto hin. Es dauert nur länger. Die meisten Leute in Kopenhagen nutzen jedoch das Fahrrad, weil es praktisch, schnell und sicher ist. Und es zeigt sich auch, dass dieser Wandel der Mobilität für Kopenhagen auch einen wirtschaftlichen Vorteil hat: Er bringt Tourist:innen und damit Geld in die Stadt.

Es gibt in Europa weitere Beispiele von Städten, die bei der Transformation des Verkehrs viel weiter sind, als wir in Deutschland, etwa Wien oder Barcelona …

Ein großartiges Beispiel ist auch Paris. Anne Hidalgo, die Oberbürgermeisterin, gibt die Stadt den Menschen zurück. Städte sind nicht entstanden für Autos, zumindest nicht in Europa. Wir haben hier eine mittelalterliche Geschichte von Städten mit kleinen Gassen, in denen wir gerne sitzen, unseren Cappuccino trinken und uns unterhalten können, ohne zu brüllen.

Katja Diehl mit Klapprad an Haltestelle

Heute radeln wir nicht durch Kopenhagen, sondern durch Hamburg! Wo sind Sie gerne mit dem Fahrrad unterwegs?

Zum Beispiel auf der Reeperbahn. Dort wurde eine von zwei Autospuren pro Richtung in eine Radspur umgewandelt. Wir Radler:innen teilen uns jetzt den Platz mit den Bussen – das ist noch nicht ideal, aber besser als vorher. Was spannend ist: Eine Studie hat gezeigt, dass es nicht zu einem Verkehrsstau auf der Reeperbahn gekommen ist, wie oft vermutet wird, sondern dass sich der Verkehr verlagert hat. Und dass es sicherer geworden ist, auf der Reeperbahn Rad zu fahren.

Sie fordern ein Grundrecht auf Wahlfreiheit in der Mobilität. Was bedeutet das?

Jeder Mensch sollte selbst entscheiden, ob er oder sie ein Leben mit Führerschein und eigenem Auto führen möchte oder nicht. Wahlfreiheit in der Mobilität ist nur dann gegeben, wenn ich mehrere Optionen habe, die ich nutzen kann: Zum Beispiel das Auto, vielleicht sogar als Carsharing und das Fahrrad. Aber dann braucht es sichere Radwege. Denn nur wenn es sichere Radwege gibt, steigen Menschen aufs Rad um.

Das Fahrrad könnte einen großen Beitrag zur Verkehrswende leisten, wenn die Infrastruktur nicht so stark auf das Auto ausgerichtet wäre.
Katja Diehl vor Hamburger Hafen lachend

Katja Diehl

Mobilitätsexpertin

Wie lauten die Grundprinzipien einer umweltgerechten Verkehrswende?

Erste Regel: Verkehr vermeiden. Also überlegen: Muss ich für ein Businessmeeting in die USA fliegen oder geht das nicht auch online? Zweitens: Verkehr verlagern, zum Beispiel vom Flugzeug auf den Zug, vom Auto auf das Fahrrad. Und die dritte Regel: Verkehr verbessern, etwa durch elektrische Antriebe bei Autos. Das ist aber nur die drittbeste Regel, weil die ersten beiden viel wichtiger sind.

Wie könnten wir die Hürden der Verkehrswende überwinden und eine gute Mobilität für alle gestalten?

Es braucht den Willen, das Klimaschutzgesetz und die Pariser Klimaziele ernst zu nehmen. Es braucht den Willen, alle wichtig zu nehmen und nicht nur die mit den Autos. Und es braucht den Willen, demokratisch zu denken, damit es allen gut gehen kann.

Welche Rolle spielt das Fahrrad bei der Mobilitätswende?

Das Fahrrad könnte einen großen Beitrag zur Verkehrswende leisten, wenn die Infrastruktur nicht so stark auf das Autos ausgerichtet wäre. Denn Menschen auf Rädern können sich einfach, günstig und schnell fortbewegen und ihren Radius erweitern.

Katja Diehl steht mit Fahrrad am Straßenrand zwischen parkenden Autos, blickt seitlich nach oben

Katja Diehl sagt: „Zu Fuß gehen ist die am meisten vernachlässigte Form von Mobilität.“

© Amac Garbe

Katja Diehl radelt auf der Straße

© Amac Garbe

Was bedeutet Ihnen persönlich das Fahrrad?

Ich bin chronisch krank und nicht so gut zu Fuß. Deshalb radle ich meist mit elektrischem Antrieb. Wenn ich mich gerade nicht fit fühle, fahr ich trotzdem los. Denn ich weiß, ich kann diesen Knopf drücken und ich komme an mein Ziel und auch wieder zurück. Für mich bedeutet Fahrrad fahren eine unglaubliche Freiheit.

Und welche Rolle spielt das zu Fuß gehen?

Das zu Fuß gehen ist die am meisten vernachlässigte Form von Mobilität, obwohl es so selbstverständlich und kostenfrei ist. Eigentlich müsste alles beim Fußverkehr beginnen. Wir jubeln, wenn ein Kind den ersten Schritt macht. Doch Kinder müssen schnell lernen, dass sie draußen nur an der Hand von Mama oder Papa gehen dürfen, weil es auf der Straße so gefährlich ist. Dass das anders wird, daran arbeiten einige europäische Städte, wie Oslo und Helsinki. Sie verfolgen die „Vision Zero“. Das bedeutet: Ihr Ziel ist es, die Zahl der Toten und Schwerverletzen im Straßenverkehr auf null zu bringen. Damit sind sie sehr erfolgreich. Das gelingt aber nur, wenn man die Schwächsten schützt. Und das sind die Menschen, die zu Fuß unterwegs sind.


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Katja Diehl

Mobilitätsexpertin

Katja Diehl war 15 Jahre in der Mobilitäts- und Logistikbranche tätig. Seit 2017 setzt sie sich als freiberufliche Mobilitätsexpertin, Autorin, Speakerin und Moderatorin für den gesellschaftlichen (Mobilitäts-)Wandel ein. Für ihre Arbeit hat Diehl zahlreiche Auszeichnungen erhalten, etwa den „Deutschen Mobilitätspreis 2022“, den „Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2022“ und viele andere.

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