Trump vs. Harris. Gendern oder nicht gendern. Omas gegen Rechts. Straße gegen Schiene. Scholz gegen Merz und alle gegen die Grünen… Wir könnten die Liste der beliebtesten Gegensatzpaare innerhalb der gesellschaftspolitischen Landschaft sehr leicht weiterführen. Für Reden, Schlagzeilen oder Postings müssen die Pole in dieser aufgeheizten und übersättigten Zeit nun mal sehr prägnant zugespitzt sein.
Eines der beliebtesten Kulturkampfbilder der letzten Jahre ist das des Lastenrads gegen ein PS-starkes Auto. Bullerbü-Idylle versus Großstadt-SUV. Erst vor kurzem noch skandierte ein Ministerpräsident auf einer Jubiläumsfeier eines Automobilherstellers: „Deutschlands Zukunft liegt nicht im Lastenrad.“ Und damit nicht genug: Man muss das Fahrrad gar nicht erst erwähnen und kann es trotzdem implizit als Gegenbild mitschwingen lassen. „Berlin ist für alle da – auch für Autofahrer.“ Mit diesem Plakatspruch konnte man im Jahre 2023 sogar ernsthaft Wahlen gewinnen. Selbst wenn ein Bundesminister zu seiner Vereidigung die kurze Strecke vom Bundestag bis zum Schloss Bellevue mit Fahrrad und Helm und eben nicht mit der Eskorte absolviert, berichtet der Boulevard anschließend, dass damit jedes Klischee über die Partei und ihre Vertreter:innen bestätigt wurde.
Das Rad ist alles andere als klein und niedlich. Es ist relevant und erfreulich streitbar, findet Matthias Riegel.
Wir alle lieben Gegensätze. Und doch haben diese Sprachbilder und Gegenüberstellungen konkrete Auswirkungen auf politisches Handeln und Realitäten: Raten Sie mal, wie oft das Wort Fahrrad im Koalitionsvertrag der Ampel auftaucht? Genau. Kein einziges Mal. Raten Sie ruhig weiter, welche Ausbau-Budgets im notwendigen Sparkurs des Verkehrsministeriums zuerst gekürzt wurden. Oder welcher Spitzenpolitiker in Deutschland etwas über die immense Wirtschaftskraft von über 45 Milliarden Euro Umsatz in 2023 und die Weltmarktführerschaft der Fahrradbranche berichten könnte.
Matthias Riegel
Kommunikationsfachmann und Wahlkampfstratege
Das Verkehrsmittel wird unterschätzt, unterkomplex dargestellt und dient noch immer als Gegenbild bzw. Abbild für alles, was grün, niedlich und simpel ist. Dass Fahrrad Start-Ups, wie etwa JobRad®, zu Einhörnern werden können, Herstellerbetriebe Gewerkschaften gründen, der Markt sich insgesamt durch die Elektrifizierung transformiert hat – das wissen die wenigsten.
Eine vom ADFC in Auftrag gegebene Studie des Fraunhofer Instituts ISI hat Ende Mai 2024 gezeigt, dass Deutschland den Radverkehrsanteil ohne viel Aufwand verdreifachen könnte. Damit würden bis zu 19 Millionen Tonnen CO2 im Verkehr eingespart. Ernstzunehmende Reaktionen aus der Politik dazu? Fehlanzeige. Dass innerhalb der Branche der Fachkräftemangel, die Diskussion um Lieferketten oder Industriearbeitsplätze ebenso laut und heikel geführt wird, wie in vielen anderen Zukunftsbereichen ist fast nicht vorstellbar. Mit der Autobranche assoziieren wir Begriffe wie Industrie, Wirtschaftskraft, Freiheit, Arbeitsplätze und Notwendigkeit. Das Fahrrad hingegen steht für Freizeit, alternatives Leben, Unsicherheiten, Kindheitserlebnisse – ökonomische Relevanz trauen ihm nur die wenigsten zu.
Das Fahrrad ist politisch. Es ist streitbar. Und jetzt kommt’s – das ist gut so. Darauf können wir aufbauen.
Denn: Ein Gegenbild zu sein heißt eben auch, relevant zu sein. Das muss man aufgreifen und mit Antworten, Druck und Öffentlichkeit bedienen. Genau deswegen nutzt es ja schließlich auch die Gegenseite. Man kann es an der aktuellen Ryanair Kampagne gut erkennen. Die Billigairline sorgt mit ihrer Kampagne gegen das Fahrradfahren und die irischen Grünen für ordentlich Furore. Unter dem Hashtag #flightsnotbikes – also Flüge statt Fahrräder – führt der Firmenaccount auf X lautstark Mobilitätsdebatten an. Anders und vor allem besser sieht es an großen Plakatflächen in Berlin aus: „Chat GPT – repariere mein Fahrrad.“ Das ist nicht nur humorvoll, sondern passt in die Zeit und zur Zielgruppe. Der Slogan vermittelt „Handwerk, Wertschätzung und Tradition“, ohne genau diese Wörter zu benutzen. Es braucht diese und ähnliche Kampagnen für das Rad. Es braucht die Aufwertung. Es braucht Mut und das Bewusstsein für die Relevanz des Rades.
Das Gute ist – wir müssen dafür nicht mal etwas erfinden oder vorgaukeln: In Deutschland gibt es so viele Fahrräder wie Einwohner:innen und man muss auch gar nicht lange googeln bis man sieht, dass das Verkehrsmittel hierzulande, genauer in Baden-Württemberg erfunden wurde. Bei E-Bikes müssen wir uns keine Sorgen um Ladeinfrastrukturen oder neue Zielgruppen machen. Es ist bereits zu einem völlig neuen Verkehrsmittel gewachsen. Die Krankenschwester auf dem Land fährt von ihrem Hof mit dem E-Bike zur Frühschicht ins viele Kilometer entfernte Krankenhaus. Nicht wegen des Klimas, sondern wegen fehlenden Parkplätzen und teuren Spritpreisen. Der Homeoffice-Papa bringt seine Kids mit dem Lastenrad in den Kindergarten und bringt auf dem Rückweg noch Einkäufe mit, weil es praktisch ist, er an der frischen Luft und aktiv ist – nicht weil er gegen vier Räder oder deren Marktmacht ist. Beide identifizieren das Fahrrad nicht als Politikum, sondern als praktisches Verkehrsmittel. Die Menschen sind viel weiter als die politische Realität und die Gegenbilder, die in ihr und durch sie produziert werden. Und das Fahrrad ist – und war schon immer – eine Lösung. Es gilt dies so zu vermarkten und zu übersetzen.
JobRad® geht hier mit dem besten Marketingbeispiel für die Masse voran: Dort wo sonst nur Telefonanbieter, Automarken oder Airlines ihre Logos platzieren, trägt man beim SC Freiburg seit einer Saison das Logo eines Fahrradleasinganbieters auf der Trikotbrust. Überhaupt scheint der Fußball sich hier zu wandeln. Während der EM sah man die polnische Mannschaft durch Hannover oder auch unsere deutschen Jungs zum Trainingsplatz radeln. Genau von diesen Bildern und Ideen, von dieser Größe und Strahlkraft braucht es mehr … bis es dann irgendwann heißt: Einigkeit und Recht und Fahrrad.
Kommunikationsfachmann und Wahlkampfstratege
Matthias Riegel ist Kommunikationsdramaturg und berät Unternehmen, Verbände und Einzelpersonen in ihrem Wirken rund um Veränderungen. Zwölf Jahre lang hat er die Wahlkämpfe von Spitzenpolitker:innen der Grünen geleitet – und dabei das politische Leben und seine Bedingungen, die Bedeutung von Inszenierung und Kommunikation studiert.